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Naturschutz im Rheintal
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Naturschutz in einer stark beanspruchten Kulturlandschaft
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Dies ist die gekürzte und leicht geänderte Fassung des
Textes: Grabher, M. (1996): Naturschutz im Rheintal. – Österreich
in Geschichte und Literatur mit Geographie 40: 363-370
1. Einleitung
Im Rheintal leben auf nur 8 % der Landesfläche rund zwei Drittel
der Bevölkerung Vorarlbergs. Der Flächenbedarf für
Siedlungen, Industrie, Verkehr und Intensivlandwirtschaft führt
zwangsläufig zu Interessenkonflikten mit dem Naturschutz -
Konflikte, die sich in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten verschärft
haben. Für eine erfolgreiche Naturschutzarbeit müssen
die Naturschutzaufgaben und -strategien den geänderten Verhältnissen
angepasst werden.
2. Landschafts- und Nutzungsgeschichte
Die Rheintalsohle entstand durch die Ablagerungen des Alpenrheins
und seiner Nebenflüsse in den „Urbodensee“, der
nach der letzten Eiszeit weit in das heutige Rheintal reichte. Noch
immer schwemmt der Fluß pro Jahr etwa 2,5 Mio. Tonnen Sedimente
in den Bodensee. Die Landschaftsentwicklung hält somit auch
heute noch an. Allein im 20. Jahrhundert schuf der Alpenrhein über
2 km2 neue Landflächen.
Regelmäßige Überschwemmungen durch Bäche und
Flüsse sowie große Moor- und Sumpflandschaften erschwerten
die Besiedlung des Talbodens - noch im 19. Jahrhundert erkrankten
die Menschen im Rheintal an Malaria. Die Zentren der ursprünglichen
Siedlungen finden sich daher am Talrand und auf den trockeneren
Schwemmfächern der Flüsse.
Lange wurde die Regulierung des Rheins diskutiert und schließlich
in einem Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Öster- reich-Ungarn
1892 besiegelt. Der Flußlauf wurde begradigt, mit dem Fußacher
Durchstich im Jahre 1900 und dem Diepoldsauer Durchstich 1923 um
insgesamt 10 km verkürzt. Gleichzeitig wurden auch die Flüsse
und Bäche im Einzugsgebiet des Rheins verbaut und das Tal durch
ein Kanalnetz systematisch entwässert.
Damit konnten sich Industrie-, Siedlungsgebiete und Intensivlandwirtschaft
in die ehemaligen Moore ausweiten. Vor allem in der zweiten Hälfte
des 20. Jahrhunderts führte die Zunahme der Wohnbevölkerung
bei gleichzeitig steigenden individuellen Ansprüchen zu einer
starken Ausweitung der Siedlungsgebiete: Während sich die Gesamtbevölkerung
von 1951 bis 1991 verdoppelte, hat sich der Gebäude- und Wohnungsbestand
mehr als verdoppelt und die Siedlungsfläche nahezu verdreifacht.
In Gemeinden wie Hard und Fußach, in denen durch Eindeichung
bzw. Aufschüttungen dem Bodensee Überschwemmungsflächen
abgerungen wurden, verfünffachte sich der Häuserbestand
sogar in nur vier Jahrzehnten! Heute beträgt die Siedlungsdichte
im Rheintal über 1000 Einwohner pro km2 (Tiefentaler 1992).
Auch die Landwirtschaft unterlag - wie praktisch in ganz Mitteleuropa
- einem grundlegenden Strukturwandel: Zunehmende Nutzungsintensität
erforderte den stärkeren Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln.
Nicht zuletzt wurde die Landwirtschaft durch die Ausweitung der
Siedlungs- und Industriegebiete in für intensive Nutzung eigentlich
ungeeignete Feuchtgebiete verdrängt, wo immer schwerere Maschinen
stärkere Entwässerungen notwendig machten.
Besonderes Augenmerk legt der Naturschutz heute auf die noch großflächig
erhaltenen Streuwiesen, die das Ergebnis jahrhundertealter menschlicher
Nutzungen sind: Moore und gerodete Auwälder wurden einst beweidet
und im Herbst zur Gewinnung von Einstreu gemäht. Die knappen
Düngemittel wurden auf den wertvollen trockeneren Landwirtschaftsflächen
ausgebracht. Durch diese extensive Nutzung entstand eine offene,
nährstoffarme Feuchtwiesenlandschaft, in der zahlreiche Pflanzen
und Tiere Lebensraum fanden, die in den einst von Natur aus gehölzarmen
Mooren gelebt hatten.
3. Das Rheintal als ökologisch wertvoller Lebensraum
Der Landschaftsgeschichte entsprechend konzentriert sich der Naturschutz
im Rheintal vor allem auf die Feuchtgebiete. Abseits des Bodensees
mit dem Rheindelta als bedeutendstem Feuchtgebiet sind dies vor
allem die Riede mit den großen Streuwiesen, die für eine
Reihe von Pflanzen- und Tierarten im Bodenseeraum und darüber
hinaus zu den wichtigsten Lebensräumen zählen: Der in
Österreich vom Aussterben bedrohte Große Brachvogel (Numenius
arquata) hat im Rheintal noch sein größtes Vorkommen,
die Bestände des weltweit bedrohten Wachtelkönigs (Crex
crex) in den Rieden bei Feldkirch zählen zu den wichtigsten
in Österreich. Untersuchungen unterschiedlicher Kleintiergruppen
brachten ähnliche Ergebnisse; so wurden beispielsweise etliche
Schmetterlingsarten im Rheintal erstmals für Österreich
nachgewiesen. Und auch die Pflanzenwelt ist mit einer erstaunlichen
Vielfalt seltener Arten vertreten.
4. Naturschutz
4.1. Rechtliche Bestimmungen
Die Bedeutung dieser Lebensräume war schon früh bekannt,
und Schutzbestrebungen reichen daher weit zurück. Bereits in
den 1920er Jahren wurde von verschiedener Seite der Schutz aller
noch unverbauten Bodenseeufer gefordert und ebenso die Unterschutzstellung
des Rheindeltas, denn das Gebiet sollte „so bleiben, wie es
ist und von den Besitzern wie bisher weiter benützt werden“
(Schwimmer 1928). Friedrich von Lürzer, Forstmeister in Bregenz,
empfiehlt noch 1939 dringend die „Schutzlegung, um gegenüber
dem deutschen (!) Bodenseeufer wenigstens dieses Gebiet in seinem
Urzustande ähnlichen Aussehen zu erhalten“ (zit. in Benzer
1986, S. 388). Zwei Jahre später fordert er in einer Veröffentlichung
wiederum die Unterschutzstellung eines 750 ha großen Gebietes,
„das ohnehin als ertraglos bezeichnet werden kann“ und
„hinsichtlich seines Landschaftsbildes und seiner Tierwelt
eines der seltensten Mitteleuropas ist“ (Lürzer 1941).
Es dauerte bis 1942, daß eine erste Schutzverordnung im Rheindelta
erlassen wurde.
Nach 1945 war Naturschutz zunächst kein Thema für die
Behörden. Erst 1949 wurde die Verordnung daher wieder in Kraft
gesetzt. Aufgrund verstärkter Bautätigkeiten am Bodenseeufer
beschloss die Landesregierung, keine Ausnahmegenehmigungen mehr
zu erteilen und erließ in den 1950er Jahren ein striktes Bauverbot
(Benzer 1986). Zudem wurden private Grundeigentümer durch die
sog. „Wegefreiheit“ verpflichtet, auf einem 10 m breiten
Uferstreifen jedermann zu dulden. Diese Bestimmungen zählen
wohl zu den wichtigsten für den Naturschutz im Rheintal überhaupt
und trugen dazu bei, den Großteil des Bodenseeufers - im Gegensatz
zu Deutschland und der Schweiz - frei und zugänglich zu erhalten.
Entwässerungen, landwirtschaftliche Intensivierungen und Störungen
durch Freizeitnutzung machten 1976 dann eine neue Verordnung für
das Rheindelta notwendig, die im wesentlichen noch heute gültig
ist.
In den siebziger Jahren wurde Naturschutz auch außerhalb
des Rheindeltas zu einem ernsthaften Anliegen: Das Landschaftsschutzgesetz
von 1973 stellt neben den Hochmooren generell auch Auwälder
unter Schutz. Es folgten in den siebziger Jahren dann Naturschutzverordnungen
für Riede bei Feldkirch und in den achtziger Jahren für
Riede bei Lustenau, Dornbirn und Wolfurt.
Trotzdem waren viele wertvolle Streuwiesen weiterhin von Nutzungsintensivierung
bedroht. In manchen Regionen betrug der jährliche Verlust an
Extensivflächen zuletzt etwa zehn Prozent. Daher wurde im Auftrag
des Vorarlberger Landschaftspflegefonds ein Erhaltungskonzept für
die Flach- und Zwischenmoore im Talraum des Rheintals und Walgaus
(Broggi & Grabherr 1989) erarbeitet, das die Grundlage für
die „Verordnung der Landesregierung über die Erhaltung
von Streuewiesen im Rheintal und Walgau“ bildetete: Mit 640
ha wurde hiermit ein Großteil der noch nicht durch Naturschutzverordnungen
erfaßten Streuwiesen gesichert.
1991 folgte eine Naturschutzverordnung für das Mündungsgebiet
der Bregenzerache und des Mehrerauer Bodenseeufers in Bregenz. Bislang
letzter Akt ist die einstweilige Sicherstellung von rund 160 ha
Feucht- und Streuwiesen des Lauteracher Riedes im Jahre 1992.
Insgesamt sind im Rheintal somit rund neun Zehntel der über
1200 ha extensiv genutzten Streuwiesen und Uferröhrichte sowie
sämtliche Auwälder per Verordnung geschüzt.
4.2. Interessenkonflikte
Auch wenn manche Verordnungen jeweils auf fünf Jahre befristet
sind, besteht derzeit wohl keine akute Gefahr, daß Schutzbestimmungen
tatsächlich wieder aufgehoben werden. Somit ist ein Großteil
der Streuwiesen und Feuchtgebiete gegenwärtig nicht von direkter
Zerstörung durch Überbauung oder Nutzungsintensivierung
bedroht.
Dies gilt jedoch nicht für einige wertvolle Flächen beispielsweise
im Rheindelta, deren Unterschutzstellung mit Hinweis auf das bereits
bestehende großflächige Naturschutzgebiet abgelehnt wurde.
Und vor allem wird seit Jahrzehnten der Bau der Bodensee Schnellstraße
diskutiert, die das Schweizerische Autobahnnetz mit dem österreichischen
verbinden soll. Diese „S18“ würde einerseits zu
direkten Flächenverlusten in den großen Rieden des nördlichen
Rheintals führen, andererseits die Moorlandschaft durch weitere
Fragmentierung, Eingriffe in den Wasserhaushalt, das Landschaftsbild
und durch Störungen beeinträchtigen.
Wenn also auch ein Großteil der wertvollen Lebensräume
nicht mehr direkt bedroht ist, so steht der Naturschutz im Rheintal
doch - wie in vielen Kulturlandschaften – vor neuen Herausforderungen:
4.2.1. Wasserhaushalt
Moore mit ihren Streu- und Feuchtwiesen und Fließgewässer
mit ihren Auen sind die wertvollsten Lebensräume des Rheintals.
Durch die Flussregulierungen sind abseits des Bodensees jedoch praktisch
keine Auen mit natürlicher Überschwemmungsdynamik erhalten.
Zudem sank in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten der Grundwasserspiegel
in vielen Rieden, deren Entstehung ja eine Folge des „Überangebotes“
an Wasser war. Ursachen dieser Entwicklung sind landwirtschaftliche
Entwässerungen, zunehmende Flächenversiegelungen und Fließgewässerverbauungen,
die zum rascheren Abfluss des Wassers und damit zu einer verringerten
Grundwasseranreicherung führen. Im Rheindelta sind zudem etwa
250 ha Streuwiesen von der Eindeichung des Gebietes Ende der fünfziger
Jahre betroffen. Die Folgen der Grundwasserabsenkungen sind Veränderungen
im Bodenaufbau und damit im Nährstoffhaushalt, in der Pflanzen-
und Tierwelt (Grabher et al. 1995).
4.2.2. Fragmentierung der Landschaft
Viele naturnahe Lebensräume sind heute aufgesplittert, durch
Straßen, Siedlungen und Intensivlandwirtschaft getrennt und
liegen daher wie „Inseln“ in einer intensiv genutzten
Landschaft. Angrenzende Nutzungen wirken sich natürlich auch
auf die geschützten Flächen selbst aus, was bei dem kleinparzellierten
Privatbesitz ein besonderes Problem bedeutet. Der Einsatz von Düngemitteln
und Pestiziden sowie die Entwässerung angrenzender Intensivflächen
beeinträchtigen extensiv genutzte Streuwiesen, zumal auch im
Bereich von Schutzgebieten keine Pufferzonen mit Nutzungsbeschränkungen
bestehen.
4.2.3. Störungen
Naturnahe Landschaften erlangen zunehmende Bedeutung für Freizeit
und Erholung. Besonders attraktiv waren seit jeher See- und Flußufer.
Mit der Freizeitnutzung sind jedoch Störungen vor allem für
seltene Tierarten verbunden, die ja vielfach gerade aufgrund ihrer
Empfindlichkeit gegenüber dem Menschen selten sind. Das international
bedeutende Feuchtgebiet Rheindelta ist hiervon besonders betroffen:
Im Schutzgebiet befinden sich Badestrände, Bootshäfen,
Restaurants und Wochenendhäuschen.
5. Aufgaben und Ziele eines zeitgemäßen Naturschutzes
Erfolgreiche Naturschutzarbeit muß sich den veränderten
Gegebenheiten stellen und ihr Aufgabenspektrum erweitern (vgl. Plachter
& Reich 1994):
5.1. Artenschutz
Es ist dies die älteste Naturschutzaufgabe und wurde bereits
im 19. Jahrhundert wahrgenommen (z.B. Schutz des Edelweiß,
der „nutzbringenden Vögel“ usw.). Neben dem Schutz
vor direkter Verfolgung können manchmal auch gezielte Fördermaßnahmen
zur Erhaltung gefährdeter Arten beitragen: Ein Beispiel liefert
die Flußseeschwalbe (Sterna hirundo), die einst auf den Schotterbänken
unverbauter Flüsse recht weit verbreitet war, heute aber österreichweit
vom Aussterben bedroht ist. Im Rheindelta ist noch der bedeutendste
Bestand erhalten, der ausschließlich auf künstlichen
Nisthilfen in Form von Kiesinseln und Flößen brütet.
Auf diese Weise lassen sich die durch Flußregulierung zerstörten
Brutplätze ersetzen. Bei den meisten anderen Arten ist erfolgreicher
Artenschutz allerdings wesentlich komplexer.
5.2. Biotopschutz
Recht früh zeigte sich, daß mit Artenschutz allein der
Rückgang der meisten empfindlichen Pflanzen und Tiere nicht
gestoppt werden kann. Biotopschutz soll daher ganze Lebensgemeinschaften,
vor allem in Schutzgebieten, erhalten. Mit der Schutzverordnung
für das Rheindelta wurde 1942 erstmals ein Naturschutzgebiet
im Rheintal ausgewiesen.
Trotz dieser Bemühungen beschleunigte sich der Rückgang
seltener Pflanzen- und Tierarten in den vergangenen Jahrzehnten.
Offensichtlich reichen Arten- und Biotopschutz allein in einer intensiv
genutzten Kulturlandschaft nicht mehr aus, die repräsentativen
und gefährdeten Arten zu erhalten. Es ist daher notwendig,
das Aufgabenspektrum des Naturschutzes zu erweitern.
5.3. Ressourcenschutz
Der Schutz von Boden, Wasser und Luft kann nicht mehr ausschließlich
dem technischen Umweltschutz überlassen werden. Einerseits
sind heute naturnahe und meist nährstoffarme Lebensräume,
insbesondere Moore und Magerwiesen, durch Nährstoffeinträge
über die Luft, über Oberflächenwässer oder das
Grundwasser gefährdet. Andererseits sind Torfmoore, die vor
allem im nördlichen Rheintal große Flächen einnehmen,
nach Eingriffen in den Wasserhaushalt selbst potentielle Nährstoffquellen
für Gewässerbelastungen: Torf besteht aus unzersetztem
Pflanzenmaterial, das sich über Jahrtausende angesammelt hat,
da hohe Grundwasserstände sauerstoffarme Verhältnisse
schufen und die Zersetzung abgestorbener Pflanzenteile unterbanden.
Wenn Moore entwässert und gedüngt werden, setzt in vielen
Fällen der Abbau des Torfs (Humifizierung) ein. Dabei werden
Nährstoffe mobilisiert, die zu Vegetationsveränderungen
führen und ausgeschwemmt werden können - die obersten
20 cm eines Torfmoores enthalten bis zu 30000 kg Stickstoff pro
ha (Succow & Jeschke 1986). Auch manche Moore im Rheintal blieben
von diesen Entwicklungen nicht verschont. Heute, nachdem rund um
den Bodensee Kläranlagen gebaut wurden, haben Austräge
aus dem ländlichen Areal, insbesondere als Folge der intensiven
Landwirtschaft, einen höheren Anteil an der Belastung des Sees
als Haushalte und Industrie zusammen. Nur eine standortgerechte
Nutzung im Einzugsgebiet der Bodenseezuflüsse kann die Nährstoffbelastung
verringern. Bei dieser Betrachtungsweise wird Umweltschutz zur Aufgabe
eines umfassenden Naturschutzes.
5.4. Prozessschutz
Natürliche Lebensräume unterliegen dynamischen Veränderungen.
Besonders deutlich zeigt sich dies an Fließgewässern,
die ihre Ufer durch Überschwemmungen permanent verändern,
vegetationsfreie Sand- und Kiesbänke, neue Landflächen
schaffen und in anderen Bereichen bestehende Landflächen wieder
erodieren. Verbauungen unterbinden diese Veränderungen, die
in einer dicht besiedelten und flächendeckend genutzten Landschaft
oft gleichbedeutend mit Katastrophen sind. Eine Reihe spezialisierter
Pflanzen- und Tierarten ist jedoch gerade an diese dynamischen Lebensräume
angepaßt. Ein bekanntes Beispiel aus dem Rheintal ist der
vom Aussterben bedrohte Zwergrohrkolben (Typha minima), eine typische
Pionierpflanze vegetationsfreier Sandflächen. Einst war der
Zwergrohrkolben im Alpenraum an den meisten Flüssen weit verbreitet.
Der größte mitteleuropäische Bestand ist heute an
der Mündung des Rheins erhalten, wo große Mengen Sand
ablagert werden.
Auch in Wäldern wird Prozessschutz zunehmend als wichtige Aufgabe
erkannt. Wälder unterliegen der natürlichen Dynamik von
Jungwuchs, Alters- und Zerfallsphase: Mehrere hundert Pilz- und
Insektenarten leben im und an Alt- und Totholz. Wenn durch Nutzung
die Zerfallsphase bindet, gefährdet dies viele der alt- und
totholzbewohnenden Arten.
Um das gesamte Artenspektrum einer Landschaft zu erhalten, müssen
ökologische Landschaftsprozesse, d.h. dynamische Veränderungen,
zumindest in beschränktem Umfang toleriert werden. Im Rheintal
wurden einige Auwälder aus der Nutzung entlassen. Auch an der
Rheinmündung, wo die Bauarbeiten wegen der Sedimentfracht des
Rheins wahrscheinlich niemals wirklich beendet sein werden, sollen
in Zukunft natürliche Landschaftsprozesse wieder verstärkt
toleriert werden.
5.5. Schutz regionstypischer Landschaften
Naturschutz ist vor allem eine Aufgabe in der Kulturlandschaft.
Über den Schutz einzelner Lebensräume hinausgehend ist
die Erhaltung der Landschaft an sich Voraussetzung für die
anderen Naturschutzaufgaben - also der Kulturlandschaftsschutz
im eigentlichen Sinn. Fragen der Landschaftsästhetik und der
Eigenart der Landschaft sind daher als gleichrangige Aspekte zu
berücksichtigen. Eine wichtige Aufgabe ist daher, traditionelle,
manchmal auch unwirtschaftliche Nutzungen zu erhalten. Dies ist
im Rheintal von besonderem Stellenwert, wo ungedüngte Streuwiesen
und naturnahe Ufervegetation rund zehn Prozent der als Landwirtschaftsgebiet
ausgewiesenen Flächen einnehmen.
6. Landschaftsentwicklungskonzept für das Rheintal
Zunächst muß sich der Naturschutz über seine konkreten
Ziele klar werden. In einem regionalen Landschaftsleitbild sind
diese Ziele zu formulieren, die auf vorhandenen Gebietsinformationen
basieren, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen - vor allem der Ökologie
- und nicht zuletzt auch auf allgemein gültigen Wertvorstellungen.
Wie Erfahrungen zeigen, darf aber der Anteil persönlicher Wertvorstellungen
an der Entscheidungsfindung nicht unterschätzt werden. Von
diesen Zielen sind konkrete Maßnahmen in einem Landschaftsentwicklungskonzept
zu formulieren.
6.1. Siedlungsgebiete
Zunächst einmal sind die bestehenden Siedlungsränder
zu halten. Bereits heute sind die Siedlungsgebiete so groß,
daß der Baubestand innerhalb der bestehenden Siedlungsgrenzen
verdoppelt werden könnte (Tiefentaler 1992). Jede Ausweitung
der Siedlungsgebiete verändert nicht nur das Landschaftsbild
nachteilig, sondern verdrängt die Landwirtschaft weiter in
die naturnahen Feuchtgebiete und verstärkt dort die Nutzungskonflikte.
Streuwiesen dürfen heute nicht mehr als „Reserve“
für durch Überbauung verlorengegangene Landwirtschaftsflächen
betrachtet werden, eine Meinung, die noch immer vertreten wird.
6.2. Landwirtschaftsgebiet
Heute sind fünf bis sechs Schnitte pro Jahr selbst auf Moorböden
möglich. Eine derart intensive Nutzung schafft artenarme Landschaften
und kann auch umweltbelastend sein. Mit der Erhaltung offener Gräben,
extensiv genutzter Grabenränder und Feldgehölzen lassen
sich auch im Landwirtschaftsgebiet Aspekte des Arten-, Biotop-,
Ressourcen- und Prozessschutzes berücksichtigen. Die Förderung
alter Nutzungen, z.B. von Obstgärten mit Hochstammbäumen,
ist praktizierter Kulturlandschaftsschutz.
6.3. Ried- bzw. Streuwiesengebiete
Als besonders wertvolle Lebensräume sind die Streuwiesen nicht
nur in ihrer Fläche, sondern in all ihren landschaftsökologischen
Funktionen (z.B. Bedeutung für den Landschaftswasserhaushalt,
Lebensraum für seltene Arten) zu erhalten. Daher müssen
auch jene Faktoren berücksichtigt werden, die Voraussetzung
zur Entwicklung dieser Lebensräume waren. Wichtigster Faktor
ist der Wasserhaushalt: Ein Großteil der Streuwiesen war einst
durch hohe Grundwasserstände geprägt. Die Erhaltung eines
intakten Wasserhaushalts wird hinkünftig wohl zu einer Hauptaufgabe
des Naturschutzes werden. Gleichzeitig müssen möglichst
geschlossene Streuwiesen ohne eingesprengte Intensivflächen
gesichert werden, um Randeffekte wie Nährstoffeinträge,
Entwässerungen und Störungen möglichst gering zu
halten. Und schließlich sollte die Nutzung der Streuwiesen
auch weiterhin durch die Landwirtschaft und nicht durch staatliche
Organe - wie in manchen Regionen praktiziert - erfolgen. Die Einbindung
der Streuwiesennutzung in die übliche bäuerliche Kreislaufwirtschaft
verhindert die Degradierung zu reinen „Museumswiesen“,
deren Erhaltung aus finanziellen Gründen und aus Gründen
der Akzeptanz langfristig dann wohl kaum möglich wäre.
Es ist also eine Landwirtschaft zu fördern, die das Produkt
der Streuwiesen, die Einstreu, auch tatsächlich verwerten kann.
6.4. „Dynamische Lebensräume“
Der Verlust an natürlicher Landschaftsdynamik wurde zu einem
Hauptproblem für den Naturschutz. Neben den erwähnten
Beispielen Wald und Fließgewässer unterlagen einst die
meisten Lebensräume dynamischen Veränderungen. Heute schafft
die Bewirtschaftung oft mehr oder weniger statische Verhältnisse.
Da gleichzeitig die Bewahrung extensiver Nutzungsformen mit immer
größerem Aufwand verbunden ist, wird auch in Naturschutzkreisen
vermehrt die Forderung erhoben, extensive Lebensräume wie Streuwiesen
nicht um jeden Preis zu bewirtschaften, sondern der natürlichen
Sukzession zu überlassen. Dabei ist jedoch zu bedenken, daß
diese Sukzession vielfach so natürlich nicht mehr ist: Grundwasserabsenkungen,
verbunden mit Nährstofffreisetzung durch Torfmineralisierung,
Nährstoffeinträge über die Luft oder angrenzende
Intensivnutzungen und das Ausbleiben der Überschwemmungen veränderten
die Standortsbedingungen in den meisten Feuchtwiesen grundlegend.
Wenn es aber gelingt, einen hohen Grundwasserstand in den einstigen
Mooren zu sichern bzw. wiederherzustellen, könnten diese -
zumindest in Teilbereichen - auch sich selbst überlassen werden.
Die Erfahrungen insbesondere in Wäldern zeigen aber, dass natürliche
Landschaftsdynamik durch Nutzungsverzicht oft nicht akzeptiert wird.
Es hat dies wohl mit unseren Vorstellungen zu tun, jeden Lebensraum
nutzen oder zumindest „pflegen“ zu müssen. Gerade
auch in dieser Hinsicht ist in Zukunft vermehrt Öffentlichkeitsarbeit
notwendig.
Die Anforderungen an den Naturschutz erfordern eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit: Die Raumordnung muß weitere Verluste an Landschaft
und Landwirtschaftsflächen stoppen. Gemeinsam mit der Landwirtschaft
sind Bewirtschaftungsmodelle zu entwickeln, die Streuwiesen als
Teil der bäuerlichen Kreislaufwirtschaft erhalten. Hierzu scheinen
neue Marketingstrategien notwendig, um die extensiv erzeugten Produkte
auch vermarkten zu können. Auch seitens des Naturschutzes sind
Flexibilität und Kreativität gefordert, da beispielsweise
derzeit nicht übliche, in der Vergangenheit aber durchaus verbreitete
Bewirtschaftungsformen, wie die Beweidung von Streuwiesen, durchaus
vorstellbar sind. Nicht zuletzt ist eine Mitarbeit des Wasserbaus
von ganz entscheidender Bedeutung, um naturnahe Fließgewässer
zu erhalten und verbaute zu revitalisieren. Alle Möglichkeiten,
Feuchtgebieten einen entsprechenden Wasserhaushalt zu erhalten,
müssen ausgeschöpft werden.
7. Fazit
Im dicht besiedelten und intensiv genutzten Rheintal sind gleichzeitig
noch wertvolle und naturnahe Lebensräume erhalten. Von besonderem
Naturschutzinteresse sind die großflächigen Streuwiesen
als Zeugen jahrhundertealter Nutzungen. Die Erhaltung der Streuwiesen
mit all ihren landschaftsökologischen Funktionen ist eine naturschützerische
und kulturhistorische Aufgabe. Der Naturschutz im Rheintal kann
auf bedeutende Erfolge verweisen, was den Flächenschutz betrifft:
Das Gesetz über Naturschutz und Landschaftsentwicklung und
Naturschutzverordnungen bewahren einen Großteil der naturnahen
Lebensräume vor direkter Zerstörung durch Überbauung
oder Nutzungsintensivierung.
Großflächige Grundwasserabsenkungen, fehlende Landschaftsdynamik
durch flächendeckende Landnutzung, zunehmende Freizeitnutzung
in naturnahen Landschaften und abnehmende Rentabilität alter
Bewirtschaftungsformen wie der Streuemahd erfordern die Entwicklung
neuer Naturschutzstrategien. In Landschaftsentwicklungskonzepten
sind jene Maßnahmen festzulegen, die zur Erreichung der in
regionalen Landschaftsleitbildern formulierten Ziele notwendig sind.
Dabei kann nur eine fachübergreifende Zusammenarbeit der Vielfalt
an Problemen und Aufgaben gerecht werden.
Naturschutz ist letztlich nur dann erfolgreich, wenn seine Anliegen
in weiten Bevölkerungskreisen verstanden und akzeptiert werden.
Öffentlichkeitsarbeit muß daher zu einem wesentlichen
Bestandteil der Naturschutzarbeit werden. Hier kann der Naturschutz
von anderen Interessengruppen noch einiges lernen.
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8. Literatur
Benzer, A. (1986): Naturschutz vor
und nach 1945. Im Mittelpunkt die Seeuferschutzverordnung von 1942.
- Montfort 38:387-390.
Broggi, M.F. & Grabherr, G. (1989): Erhaltungskonzept
Flach- und Zwischenmoore im Talraum des Rheintals und Walgaus. -
Vorarlberger Landschaftspflegefonds.
Grabher, M. (1995): Entwicklungskonzept für
die Kernzone des Lauteracher Riedes. - Schriftenreihe Lebensraum
Vorarlberg, Band 25.
Grabher, M.; Lutz, S. & Meyer, E.(1995): Einfluß
von Entwässerungen auf Boden, Vegetation und Fauna im Naturschutzgebiet
Rheindelta. - Schriftenreihe Lebensraum Vorarlberg, Band 22, 83
S.
Lürzer, F. von (1941): Das Bodenseeufer zwischen
der alten und neuen Rheinmündung in Vorarlberg. - Blätter
für Naturkunde und Naturschutz 28/2:12-18.
Plachter, H. & Reich, M. (1994): Großflächige
Schutz- und Vorrangräume: eine neue Strategie des Naturschutzes
in Kulturlandschaften. - Veröffentlichungen des Projektes „Angewandte
Ökologie“, Band 8: 17-43. Karlsruhe.
Schwimmer, J. (1928): Im Fußacher Ried. -
Heimat 9:281-282.
Succow, M. & Jeschke, L. (1986): Moore in der Landschaft. -
Urania, Leipzig.
Tiefentaler, H. (1992): Siedlungsentwicklung im
Vorarlberger Rheintal 1890-1990. In: Internationale Rheinregulierung:
Der Alpenrhein und seine Regulierung, S. 112-119. Buchs.
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